„Auch in Zeiten des Fernunterrichts sollten die Erkenntnisse von John Hattie nicht vergessen gehen“, meinte Abteilungsleiter Guido Abächerli letzthin in seinem montäglichen Mail. Das hat mich dazu inspiriert, die für mich eklatantesten Merkmale aus „Lernen sichtbar machen“ aufzulisten und meiner Unterrichtspraxis gegenüberzustellen.
Besonders wirksam für das Lernen sind folgende ausgewählte Faktoren, die Lehrpersonen steuern können:
- 1.29 Leistungseinschätzung der Lehrperson bspw. durch Coachinggespräche
- 0.90 Glaubwürdigkeit der Lehrperson (aus Sicht der Lernenden), weil sie kompetent, ehrlich, fair auftritt, sich um die Lernenden kümmert, Verständnis und Einfühlungsvermögen zeigt, bereitwillig auf die Interaktionen der Lernenden eingeht (Responsivität) etc.
- 0.88 Micro-Teaching – Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen u.a. durch Feedback aus dem Kollegium
- 0.75 Klarheit durch verständliche Kommunikation (klare Sprache), in der Organisation des Unterrichts, bei den Erläuterungen, im Lerngegenstand der Lernenden, bei der Formulierung von Aufträgen, Anleitungen und Beispielen
- 0.52 Schüler-Lehrperson-Beziehung insbesondere Empathie und Authentizität
- 0.50 Unterrichtsqualität (aus Schülersicht), nämlich Herausforderungen, Engagement bzgl. curriculum, Erwartungen
No news. Neu ist aber, wie wird dies im Fernunterricht bewerkstelligen. Und ich sehe hier nicht nur Chancen, sondern erlebe, dass sich tatsächlich einiges verändert, intensiviert, verbessert hat. Bei meinen Klassen kann ich folgendes feststellen und/oder werde ich mehr berücksichtigen:
Leistungseinschätzung: Die Lernenden wollen von der Lehrperson wissen, wie ihr Lernstand aussieht, wie ihre Kompetenzentwicklung bewertet wird. Das kann m.E. mit Prüfungen nur teilweise erfüllt werden. Hilfreicher sind sachlich-fachliche Feedbacks aber unbedingt auch Rückmeldungen zum Lern- und Sozialverhalten sowie Methodenkompetenz, die ich bspw. bei allen TEAMS-Aufgaben als detaillierte Rückmeldung einerseits direkt in der Aufgabe notiere (sachlich, fachliches Feedback) sowie als Gesamtfeedback zum Auftrag gebe.
Bei einem grösseren Auftrag über mehrere Woche gebe ich zusätzlich zur schriftlichen Bewertung gem. Kriterienraster während des Fernlernens auch ein Audiofeedback. Das geht in OneNote einfach und schnell unter Menu „Einfügen/Audio“.
Idealerweise schätzt sich der/die Lernende selber ein und erstellt eine Reflexion. Das mache ich v.a. bei grösseren Projektaufträgen, bei denen ich nicht (nur) die Detailarbeit bewerte, sondern auf die Eigenbewertung des/der Lernenden eingehe. Diese Reflexion bietet auch eine ideale Basis für ein Gespräch.
Ich denke, ich trete dann glaubwürdig auf, wenn ich von mir persönlich berichte und ohne falsche Scheu zugeben kann, dass das eine oder andere auch für mich neu ist. So habe ich mit den Lernenden ein neues Tool wie Peergrade ausprobiert (mehr dazu später in einem anderen Blog) ohne zu wissen, wie es genau funktioniert. Oder ich habe von jemandem verlangt, eine ungenügende Note vom Lehrbetrieb zu unterzeichnen inkl. Firmenstempel ohne daran zu denken, dass die Ausbildnerin ebenfalls im HomeOffice arbeitet und dort natürlich keinen Stempel zur Hand hat. Die Forderung danach habe ich natürlich zurückgezogen.
Was jetzt während des Fernlernens und Fernlehres in der Lehrerschaft passiert, ist wohl bereits mehr als Micro Teaching – das ist bereits grösser. Ich sehe, wie meine Kolleginnen und Kollegen neue Tools wie TEAMS kennenlernen, nachfragen, wenn sie nicht weiterwissen und wer die Antwort weiss gibt sie schnell und unbürokratisch. Dazu braucht es weder zeitintensive Workshops mit diversen Referenten noch grossartiger Organisationsaufwand – ein WhatsApp-Gruppenchat mit freiwilliger Teilnahme genügt.
Ob meine Aufträge klar und verständlich, die Anleitungen hilfreich und eindeutig, die Aufgabenstellung relevant und praxisnah sind weiss ich erst, danach frage, bspw. mit einer kurzen Mentimeter-Umfrage (vgl. Vlog digiFernlernen Nr. 14 von @PhilippWampfler). Selbstverständlich erkenne ich einen Teil davon, wenn ich die Arbeiten sichte – bin aber nicht sicher, ob die Lernenden den Auftrag einfach „gut erfüllt“ haben, weil sie das System kennen und/oder einander geholfen haben oder ob tatsächlich alles so klar war, ich ich meine.
Feedback: schriftlich via Chat oder E-Mail (schriftlich) oder persönlicher weil mündlich via Videokonferenz, Videochat oder Audio – was auch gleich die Schüler-Lehrperson-Beziehung stärkt.
Als Lehrperson bin ich vor allem gefordert, Aufgabenstellungen zu finden, die für die Lernenden attraktiv aber auch herausfordernd sind. Das gelingt mir besonders, wenn ich eher projektorientiert arbeite und für einen längeren Zeitraum plane. Das ging im Präsenzunterricht gut und ich sehe im Fernunterricht den einzigen Unterschied, dass ich die Inputs nicht mehr persönlich mache, sondern einen Film dazu bereitstelle und evtl. in Videokonferenzen das eine oder andere vertiefe. Solche Aufträge findet man (u.a. auch von mir) unter TeachOz (Log-in-Zauberwort: HELP).
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Ergänzungen zu „Lernen sichtbar machen“
Effektstärken: Je höher der Faktor, desto grösser der Einfluss auf das Lernen – positiv (+) wie negativ (-). In Bildungskontexten gibt es selten Effekstärken grösser 1.0, fast nie solche grösser 2.0.
Übersicht aller Faktoren (engl).